Monitoring in den Zugwiesen: Pflanzen

Veröffentlicht am 26. Juli 2015 Unter Textlabor

Bestandsaufnahme der Natur am Ludwigsburger Neckar.

Teil 1 Pflanzen in den Zugwiesen

 

„Muss“. Für Michael Koch ist es keine Frage, dass er alle Pflanzen im Ludwigsburger Neckarbiotop Zugwiesen beim Namen kennt. 378 Pflanzenarten hatte er 2013 gezählt. Die Zahlen von 2014 sind noch nicht vollends ausgewertet, da steht schon wieder die neue Bestandsaufnahme an. Zugwiesen-Guide Uli Ostarhild hat den Landschaftsökologen und ausgewiesenen Kenner der Flora und Fauna bei der Bestandsaufnahme der Pflanzenwelt in den Zugwiesen begleitet.

Auf den Neckarwiesen bei der Schleuse Poppenweiler, wo vor fünf Jahren noch der Grill qualmte und auf den Auwiesen sattes Gras für die Ossweiler Kühe gemäht wurde, tut sich seit dem Sommer 2012 eine vollkommen neue, blühende Vielfalt auf. In der kurzen Zeit seit dem Abschluss der Landschaftsbaumaßnahmen haben viele Pflanzen und Tiere ihren Platz in den Zugwiesen bereits gefunden.

Herr Koch, gleich zu Beginn eine Frage, die uns Zugwiesen-Guides oft gestellt wird: Warum darf man hier denn keine Blumen pflücken? Die Wiesen sind doch voll von blühenden Pflanzen.

Koch: „Man sollte in diesem Schutzgebiet besser keine Blumen pflücken, weil es hier auch Pflanzen gibt, die sehr selten geworden sind. Zum Beispiel die Saat-Wucherblume und die Sumpfschafgarbe, die auf der roten Liste der bedrohten Arten stehen. Die sollten auf keinen Fall gepflückt werden, könnten aber leicht verwechselt werden. Man kann sich ja auch vom Fußweg aus an den blühenden Wiesen erfreuen“.

Ist das Konzept der Landschaftsplaner, hier möglichst viele verschiedene Lebensräume für Pflanzen und Tiere zu schaffen, aufgegangen?

Koch: „Einige Arten wie die Robinie oder das Springkraut, sehen wir Biologen hier in den Zugwiesen nicht so gerne, weil die alles andere überwuchern, wenn man sie wachsen lässt. Aber hier hat sich tatsächlich eine prächtige Vielfalt eingestellt. Wenn man die Standorte genauer betrachtet und nach Nährstoffgehalt und Feuchtigkeit unterscheidet, stellen sich bestimmte Pflanzengesellschaften von selber ein. An den mageren, trockeneren Böschungen wächst beispielsweise Kammgras und der Hornklee. An den feuchten Stellen sieht man im Juli das Mädesüß, den Blutweiderich und das Behaarte Weideröschen. Wir sind gespannt wie es in zwei oder fünf Jahren hier aussieht“.

Beim Monitoring gehören GPS-Gerät und Metalldetektor bei Michael Koch zur Ausrüstung. Denn die Pflöcke zur Markierung der Wiesenflächen müssen im Bodenversenkt werden, sonst werden sie abgemäht. Damit die Pflöcke auffindbar sind, wurde ein Metallblättchen daraufgesetzt. Nun kann man mit dem Metall-Detektor die Stellen finden.

Das Gebiet des Neckarbiotops Zugwiesen umfasst 17 Hektar, das sind rund 23 Fußballfelder. Fast ein Viertel davon sind neue Wasserflächen. Das ist was einzigartig im Ballungsraum Stuttgart. Am Ufer des neuen Zugwiesenbachs, der die Barriere der Schleuse für Fische und Wassertiere aufhebt, gibt es nun ganz unterschiedliche Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Von den feuchten Rändern bis zu den trockenen Blockhalden, die man am Neckar seit dem Ausbau zur betonieren Schifffahrtsrinne in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts kaum mehr findet. Besonders wertvoll für die Artenvielfalt sind Überschwemmungsflächen, Kies- und Schlammstrände sowie die Magerwiesen. So finden vom Flutenden Hahnenfuß im Zugwiesenbach, dem Breitblättrigen Rohrkolben am Teich bis hin zum trockenheitsliebenden Schaf-Schwingel viele ursprünglich heimische Gras- und Kräuterarten ihren natürlichen Lebensraum wieder vor.

Michael Koch hat eben ein Exemplar des Großen Wiesenknopfes entdeckt – an einer Stelle die eigentlich zu trocken für die Art ist. Die Ansaaten, die im Landschaftsbau eingesetzt worden sind, enthalten auch Samen des Großen Wiesenknopfes. Dort an dem Trockenhang wird er im nächsten Jahr vermutlich nicht mehr stehen. In einer anderen Probefläche, oben am See, stehen zwei Meter hohe Acker-Kratzdisteln, welche über Samenflug und / oder Samenreservoir im Boden dort hingelangt sind.

„Die Disteln haben sich dort erst im letzten Jahr so dicht entwickelt. Das war nicht abzusehen.“

Auch für den hartgesottenen Ökologen kommt hier beim Kartieren keine Freude auf. Ob dieser Bestand im nächsten Frühjahr gemäht wird oder weiter stehen bleibt, entscheidet sich bei der nächsten Begehung der Planer mit den Biologen. Auf Grundlage des von der Stadt Ludwigsburg beauftragten Pflege- und Entwicklungsplans werden die Pflegeflächen festgelegt. Pflegen, das heißt hier mähen mit dem Balkenmäher, mit dem Freischneider – oder Beweidung durch Rinder. Ein Oßweiler Landwirt lässt einen Teil der Flächen beweiden von einer kleinen Herde aus Hinterwälder Rindern. Diese Rasse ist genügsam und vor allem leichter als die großen Artgenossen. So entstehen weniger Trittschäden.

Zugwiesen Inseln

Die Inseln und Halbinseln werden nach und nach zum Auwald werden. Foto: U. Ostarhild

„Wenn man nichts tut, haben wir in einigen Jahren einen geschlossenen Wald, denn die Gehölze sind am kräftigsten im Wuchs. Deshalb sind auch die Landwirte aus der Umgebung von der Stadt mit der „Pflege“ der Flächen beauftragt worden. In dem Plan ist genau festgelegt, welchen Zielbestand der Vegetation, d. h. an Pflanzen, Gräsern, Kräutern, Büschen und Bäumen, man auf einer bestimmten Fläche haben will“.

Ökologen sprechen dann von eine gelenkten Sukzession, also einer gezielt gesteuerten Abfolge des Wachstums unterschiedlicher Pflanzen, welche z. B. durch eine Mahd im Abstand von zwei bis Jahren erreicht werden kann. Einige Flächen werden ständig offengehalten, das heißt, dass hier ein bis zweimal im Jahr gemäht wird. So können Schafgarbe, Margeriten, Johanniskraut & Co. wachsen und zu Blüte kommen. Anders auf den Inseln in der Umgebung der Aussichtsplattform. Dort soll sich die Natur von alleine entwickeln, nachdem einige Weiden, Pappeln und Erlen gepflanzt wurden, in die natürliche Sukzession (Vegetationsabfolge) wird nicht weiter eingegriffen. Auf diesen Flächen enstehen so natürliche Auengehölze.

Eine ökologische Besonderheit, die auf der Insel anzutreffen ist, ist die einheimische Schwarzpappel, auf dem Bild unten in der Mitte zu sehen. Foto: U. Ostarhild.

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Diese einheimische Baumart, die in der Landschaft kaum noch anzutreffen ist, hat dafür eine wertvolle ökologische Funktion. Denn die alte Baumart bietet alleine 140 Kleinlebewesen Unterschlupf und Nahrung. An den Ufern der Seen und Tümpel trifft man mehr und mehr Röhrichtpflanzen an. Die Entwicklung der Wasserpflanzen weist für Koch daraufhin, dass sich das Schilfröhricht, von dem anfangs nur einzelne Pflanzen gesteckt wurden, im Laufe der Jahre flächig ausdehnen wird.

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Stillgewässer in den Zugwiesen. Foto U. Ostarhild

Auch mit ungeschultem Blick konnte man erkennen, dass sich in den Zugwiesen der Ampfer breit gemacht hat. Sehr zum Ärger der Landwirte, die dieses Unkraut nicht im Futter haben wollen. Die Ursache dafür liegt wahrscheinlich darin, dass bei den Bodenbewegungen verschüttete Samen zum keinem kamen. Seit diesem Frühjahr zeigt sich aber verstärkt der Ampferblattkäfer, der die breiten Blätter durchlöchert. Die heimische Käferart und seine mattschwarzen Larven ernähren sich fast ausschließlich von Ampfer. Eine weitere ökologische Nische tut sich mit dem Ampfer auf: Michael Koch, der sich auch mit Schmetterlingen sehr gut auskennt, hat in Wiesen, die mit Ampfer durchsetzt sind, den Großen und den Kleinen Feuerfalter verstärkt angetroffen. Die Feuerfalter-Larven brauchen ebenso Blätter der Ampferarten für ihre Ernährung.

Der große Feuerfalter ist angewiesen auf Ampfer

Der große Feuerfalter ist angewiesen auf Ampfer. Foto Michael Koch

Das Monitoring wird ebenso durchgeführt, um die Tierwelt in den Zugwiesen zu beobachten. So gibt es auch eine jährliche Bestandsaufnahme von Vögeln, Reptilien und Amphibien: Ebenso werden die Entwicklungen bei den Fischen und Kleinlebewesen im Wasser dokumentiert. Dazu sind jeweils spezialisierte Biologen beauftragt. Michael Koch macht darüber hinaus noch das Monitoring der Libellen und Tagfalter.

Nicht nur die Bestandsaufnahme, auch die Auswertung der Daten ist recht aufwändig. Und auf den viel gefragten Ökologen wartet am selben Abend.

INFO
Monitoring. Den Begriff kennt man vor allem in Wirtschaftsunternehmen. Auch für die Landschaftsplaner am Ludwigsburger Neckar bringen die Beobachtungen in der Natur wichtige Erkenntnisse. Denn ein wichtiges Ziel ist es, hier möglichst vielen heimischen Pflanzen- und Tierarten Lebensräume anzubieten. Auch für diejenigen, die schon lange kein Pflanzenbestimmungsbuch in der Hand hatten, bieten sich spannende Einblicke in die Natur direkt vor der Haustüre.

Kontrollflächen. Ursprünglich wurden an 28 Stellen in den Zugwiesen detailliert der Bewuchs kartiert und Pflanzenlisten angelegt. Daraus wurden 15 Flächen ausgewählt, die nun als Kontrollflächen dienen und zur Zeit jährlich untersucht werden. Es gibt verschiedene Probeflächentypen. Es gibt einzelne Flächen, in welchen nur eine Pflanzengesellschaft erfasst wird, wie z. B. eine Glatthafer-Wiesen. Andere sind als Transekt in der Landschaft angeordnet. Diese Probeflächen sind dann sechs bis acht Meter lang, zwei bis drei Meter breit. Die Längsanordnung des Transekts folgt hierbei dem Gefälle der Uferböschungen an den Gewässern.. Diese Flächen können nochmals in mehrere Zonen unterteilt werden, je nach Bodenfeuchtigkeit des Standorts und vorgefundener Vegetationsentwicklung. Die Entwicklung der Untersuchungsfläche wird mittels jährlich dokumentiert. Auch anhand von aktuellen Luftbildern lässt sich die allgemeine Entwicklung des Gebietes nachvollziehen.

So läuft das Monitoring ab. Bei der Kartierung wird jede Art, sei es Gras, Kraut, Strauch oder Baum, notiert, ebenso der Deckungsgrad (13-stufige Skala in %) und die Verteilung in der Probefläche (Soziabilität; fünfstufige Skala) der vorgefundenen Pflanzen. So kann es sein, dass Pflanzen wie der gelb blühende Färberwaid, eine einjährige Pflanze, welcher 2013 noch sehr häufig anzutreffen war, bereits im dritten Jahr nur noch an wenigen Stellen zu sehen ist. Denn andere Pflanzen, wie Wiesen-Schafgarbe oder ausdauernde Gräser sind kräftiger im Wettkampf um Licht, Boden und Wasser. Das Gleichgewicht wird sich erst in ein paar Jahren einstellen.