Monitoring in den Zugwiesen. Wassertiere

Veröffentlicht am 27. Juli 2015 Unter Textlabor 0 Comments

Bestandsaufnahme der Natur am Ludwigsburger Neckar

Teil 2 Wassertiere im Zugwiesenbach

 

Wenn es um Tiere im Neckar geht, denkt man zuerst an Fische. So werden die Zugwiesen-Guides häufig gefragt, wie die Fische den neuen Bach im Ludwigsburger Neckarbiotop Zugwiesen annehmen. Für Biologen sind neben den Fischen auch die Kleinlebewesen im Zugwiesenbach wichtig. Denn Wasserschnecken, Insektenlarven und andere Kleinlebewesen geben Hinweise, wie es um das ökologische Gleichgewicht bestellt ist. Deshalb wird jährlich eine Bestandsaufnahme gemacht. Die Diplom-Biologin Dr. Maria Christ erklärt dem Zugwiesen-Guide Uli Ostarhild, warum sie derzeit zufrieden ist mit dem Zustand der Gewässer in den Zugwiesen.

An einem heißen Julitag ist Maria Christ mit Kescher, Lupe und Notizblock am Zugwiesenbach unterwegs. Seit 2012, also seit der baulichen Fertigstellung des neuen Biotops, ist die Diplom-Biologin von der Stadt Ludwigsburg mit dem Monitoring, also mit der Bestandsaufnahme der Wassertiere in den Gewässern in den Zugwiesen beauftragt. Dabei gilt ihr Blick nicht so sehr den Fischen. Denn der Bestand an Fischen wird von einem anderen Experten jährlich untersucht. Christ interessiert sich vielmehr für die Flohkrebse, Schlammröhrenwürmer und räuberischen Libellenlarven. Eine muntere Gemeinschaft, die sich offensichtlich im Zugwiesenbach recht wohl fühlt.

Frau Christ, Wie steht es um die Wasserqualität des Neckars und im Zugwiesenbach?

„Wenn man sich die Zusammensetzung der Wassertiere genauer ansieht, zeigt sich derzeit eine recht gute Wasserqualität. Das kann man an dem Vorkommen und der Anzahl bestimmter Wassertiere feststellen. Wie zum Beispiel der Köcherfliegenlarven und Libellenlarven. Sechs verschiedene Arten von Köcherfliegenlarven haben wir im Zugwiesenbach gefunden. Köcherfliegenlarven kommen nur in relativ sauberen Gewässern vor, wo genügend Sauerstoff vorhanden ist Sie sind deshalb ein Anzeiger für einen guten ökologischen Zustand. In den letzten drei Jahren hat sich ein ökologisches Gleichgewicht mit recht vielen weiteren Arten eingestellt.

https://youtu.be/dm5XOaA-YCM

Der Zugwiesenbach dient den Neckarfischen – und auch den winzigen Krebsen, Schnecken und Würmern als Hilfe, die Barriere der Schleuse zu umgehen. Die Vielfalt der Lebensräume mit Kiesboden, Schlamm, Wasserpflanzen und Totholz bietet den Kleinlebewesen Unterschlupf und Nahrung.

Christ: „Man kann einen deutlichen Unterschied zur Artenzahl und Anzahl der Tiere zwischen dem Neckarkanal bei Hoheneck und im Zugwiesenbach feststellen. Obwohl das Wasser im Prinzip das gleiche ist. Allerdings kann sich das Gleichgewicht in diesem künstlich angelegten Bach sehr schnell verändern. Zum Beispiel, wenn durch Hochwasser oder Starkregen Dünger oder andere Schadstoffe in den Neckar eingetragen werden. Dann geht die Vielfalt der Arten und Anzahl der Wassertiere schnell zurück. Durch Düngereintrag vermehren sich die Algen sehr stark und nehmen den Tieren den Sauerstoff im Wasser weg.

Beim Monitoring 2014 wurden im Zugwiesenbach insgesamt 39 verschiedene Arten von Kleinlebewesen nachgewiesen und nur sechs Arten im Neckarkanal bei Hoheneck. Im nahegelegenen Zipfelbach, der einen natürlichen Ursprung hat und einen längeren Weg zurücklegt, wurden vor einiger Zeit allerdings noch mehr Kleinlebewesen, nämlich 50 Arten, im Wasser festgestellt“

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Beim Monitoring: Bestandsaufnahme mit Probeschale und Notizblock

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Bewohner des Zugwiesenbachs: Schnecken und Höckerflohkrebse

 „Im Neckar gibt es aber immer wieder „Neubürger“, die sich über die Schifffahrtswege schnell verbreiten. Gerade der derzeit häufige Höckerflohkrebs oder die Grobgerippte Körbchenmuschel sind solche Neubürger oder Neozooen, wie die Biologen sagen. Anfangs haben diese „Neubürger“ keine natürlichen Feinde und können sich deshalb schnell ausbreiten können.

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Wie stellt sich ein ökologisches Gleichgewicht im Gewässer ein ?

„Pflanzen und auch Tiere nehmen die ökologischen Nischen schnell an, so die Biologin. So finden hier auch Süßwasserschwämme, Libellenlarven und kleine Flohkrebse ein Zuhause. Die Vielfalt der Wassertiere entsteht, wenn die Sauerstoffversorgung stimmt und das Nahrungsangebot da ist. Dann ist in der Nahrungskette für jeden etwas dabei. So fressen die räuberischen Libellenlarven außer Flohkrebsen und Würmern auch Larven von Stechmücken. Damit haben auch die Menschen einen Nutzen von einem intakten Gewässer.“

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Süßwasserschwamm mit Muscheln

Schauplatz Riegelrampe

In der sogenannten Riegelrampe, dem steileren, unteren Teil des Zugwiesenbaches, herrscht eine stärkere Strömung. Aber auch hier finden die winzigen Flohkrebse, Wasserschnecken & Co. immer wieder Unterschlupf. Weiter oben ist der Bach deutlich ruhiger. Die Breite schwankt zwischen drei und sieben Metern. Im Totholz und in den Weidenbündeln finden sich Laichplätze für Fische, Brutplätze für Wasservögel und Lebensraum für Insektenlarven, Flohkrebse und Süßwassermuscheln.

Auf größeren Steinen im Bach bilden sich unter Wasser Lebensgemeinschaften zwischen Süßwasserschwämme und Schwammfliegenlarven. Die Larven leben – als Parasiten – auf der Oberfläche des Schwammes und saugen mit ihren Saugröhren deren Gewebesäfte. Damit sich solche Gemeinschaften entwickeln können, ist es wichtig, dass die Lebensräume nicht gestört werden.

An Stadtstränden, an denen Enten und Schwäne gefüttert werden, kann ein ökologisches Gleichgewicht nicht entstehen. Denn der Kot der Vögel sorgt für Nährstoffeintrag und für eintönigen Bewuchs durch Algen, was wiederum Sauerstoffmangel zur Folge hat. Wenn der Uferbereich zertreten wird, wie an den Uferwiesen in Hoheneck oder an anderen Stadtstränden, kann sich die Vielfalt nicht entwickeln.

Die natürlichen Lebensräume respektieren

Ein empfindliches Gleichgewicht herrscht auch an dem Kiesstrand rund um die Aussichtsplattform der Zugwiesen. Denn hier leben viele Larven und andere Lebewesen, die Nahrung für die Zugvögel sind.

Maria Christ ist es wichtig, dass Kinder die Natur am Neckar für sich entdecken können. Deshalb bietet sie für Schulklassen im Rahmen des Projekts „Fischer und Frachter“ – siehe Infokasten – auch Führungen an. Hier sind Kinder selbst mit Kescher und Lupe in den Zugwiesen oder an den Uferwiesen in Hoheneck unterwegs. Die Kinder gehen bis zu den Knien ins Wasser und können mit etwas Glück einen Flohkrebs oder eine Libellenlarve entdecken – und damit die Zusammenhänge verstehen lernen.

Bei den Führungen erklärt die Biologin auch, dass die Kies- und Schlammstrände in den Zugwiesen wichtige Laich- und Brutplätze sind.
Deshalb dürfen Kinder und Erwachsene auch nur in Begleitung von Frau Dr. Christ die Gewässer betreten. Zu groß ist die Gefahr sonst, dass Fischlaich, Brut und Nahrungsplätze zerstört werden. Deshalb sind auch die Verbotstafeln in diesem Schutzgebiet aufgestellt. Wer die Zusammenhänge kennt, weiß warum.

Maria Christ wird in den folgenden Tagen auch die Tümpel und Seen in den Zugwiesen untersuchen. Ein Blick in die Ergebnisse vom Vorjahr zeigt, dass sich auch dort die Libellenlarven und Wasserflöhe wohlfühlen. Wer sich doch mehr für Fische interessiert: Im September wird in den Zugwiesen ein „Riverwatcher“ eingerichtet. Mit dem Gerät soll der Fischbestand und die Wanderungen der Fische im Zugwiesenbach beobachtet werden. Man darf gespannt sein.

INFO:

Ingenieurbiologisches Bauen:
Der Zugwiesenbach ist ein Abzweig des Neckars, das um die Schleuse Poppenweiler außen herum führt und damit Fischen und anderen Wassertieren eine Wanderung und Verbreitung ermöglichen. Dabei werden auf knapp zwei Kilometern Bachlauf Metern fast sieben Meter Höhe überwunden. Die Wasserbauingenieure und Landschaftsplaner haben den Bach so gebaut, dass es unterschiedliche Tiefen, verschiedene Fließgeschwindigkeiten, und einige Hindernisse wie Steinblöcke und eingerückte Holzpflöcke, sogenannte Buhnen gibt. So finden die verschiedenen Lebewesen Unterschlupf und Nahrungsangebote.
Gewässerbiotope: 3,8 Hektar des neuen Neckarbiotops Zugwiesen wurden zu Gewässerbiotopen umgewandelt. Neben dem Bach, als „Umgehungsgerinne“ in erster Linie zur Wanderung der Fische und Wassertiere gedacht, gibt es Tümpel, sogenannte Stillgewässer und die zum Neckar hin offenen Seen, sogenannte Halbstillgewässer. Hier haben die Libellen und deren Larven gute Bedingungen.

Monitoring in verschiedenen Lebensräumen:
Zur Beprobung wurde der Bach in fünf Untersuchungsabschnitte unterteilt. In jedem Untersuchungsabschnitt sind im Rahmen der Neugestaltung neu geschaffene Substrate wie Totholz, Weidenfaschinen, Wasserpflanzen, Steinblöcke, große Steine, Kies und Schlamm vorhanden. Von jedem dieser sieben Substrate wurden von Juli bis Anfang August zwei Proben je Untersuchungsabschnitt bearbeitet. Die Gesamtprobenanzahl betrug daher 70 Einzelproben. Die Probenentnahmefläche entsprach einer quadratischen Fläche von ca. 25 cm
Seitenlänge bei Steinblöcken, großen Steinen und Kies.

Kleinlebewesen – Makrozoobenthos:
Man unterscheidet in der Biologie zwischen den Kleinlebewesen an der Gewässersohle, also den Tieren, die man gerade noch mit dem Auge sehen kann und solchen, die nur mit dem Mikroskop zu sehen sind“. Von den Kleinlebewesen wurden 2014 39 Arten alleine im Bach festgestellt. Das sind vier mehr als im Jahr zuvor. In der Nahrungskette spielen die Makrozoobenthos auch als Nahrung für Fische eine wichtige Rolle. Von Kleinstlebewesen oder Mikrozoobenthos spricht man, wenn die Organismen wie Einzellern und Bakterien als Einzelwesen nicht mit bloßem Auge erkennbar sind.

Fische & Frachter: Gewässerpädagogisches Netzwerk am Neckar
Das Netzwerk „Von Fischen und Frachtern“ bietet ein thematisch breites Bildungsangebot zu verschiedenen Themen – wie Wasserstraße Neckar, Lebensraum Neckar, Energie und Nutzung oder Flussgeschichte – mit mehr als 80 Lernorten am Fluss.
Dieses Netz von Bildungsangeboten für Schulklassen sowie Kinder- und Jugendgruppen entlang des gesamten Neckars gibt Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, „ihren“ Fluss außerhalb des Klassenzimmers kennen zu lernen. Pädagogisch geschulte und fachkundige Referenten führen die Unterrichtseinheiten an geeigneten Lernorten direkt am Fluss durch und vermitteln fächerübergreifendes Wissen und Spaß am Lernen. http://www.fische-frachter.de
Zugwiesen-Guides: Die Zugwiesen-Guides bieten Führungen für Erwachsene und Schüler an. Die Adressen der gibt es unter www.neckarguides.de und http://www.ludwigsburg.de/,Lde/start/stadt_buerger/Zugwiesen+Fuehrungen.html